Donnerstag, 3. August 2017

Zurück nach Bornholm, auf ins Honeyland!

So schön Christiansø auch ist, mache ich mich direkt am nächsten Morgen auf den Weg zurück nach Bornholm. Noch haben wir einen schönen Südwind, der aber im späteren Verlauf auf West drehen soll. Dann wird es für mich unmöglich unter Segeln zurück zu kommen. Klar, ich habe einen Motor. Der hat aber nur 10PS und ist in meinen Augen mehr für Hafenmanöver, die letzte Meile vor dem Anlegen und Notfälle gedacht.
Mein schwedischer Nachbar ist schon ausgelaufen, als ich um 10:20h die Leinen loswerfe. Zum Glück, denn der Ableger ist lange nicht so formvollendet wie der Anleger. Macht aber nichts. Ich habe viel Platz und fahre eben ein bisschen schief vom Liegeplatz ins Hafenbecken. Dort bereite ich in aller Ruhe die Illub vor: Leinen aufklaren, Fender verstauen und Segel hissen. Direkt hinter der Mole geht das Geschaukel dann auch los. Komischerweise ist die See direkt vor den Häfen oft am unruhigsten. Ob das an den Bauwerken, dem flacher werdenden Grund oder dem Kontrast lieg, weiß ich nicht. Wenn man von draußen reinkommt und die Segel herunter holt, fehlt auf einmal eine riesige Bremsfläche. Und wenn man nach einer ruhigen Nacht im Hafen raus kommt, dann hatte ich meist schon vergessen, dass man draußen ja von den Wellen herumgeschubst wird.
Die Windfahne ist schnell aufgebaut und eingestellt und mir bleibt nichts anderes als in der, sich gelegentlich zeigenden, Sonne zu liegen, ab und an mal einen Rundumblick zu machen und mich mit genügend Getränken und Snacks zu versorgen. Das Leben auf See kann so idyllisch sein :-)

 Nach viel zu kurzen zweieinhalb Stunden ist Allinge erreicht. Schade eigentlich. Weiterfahren möchte ich aber auch nicht. Ich habe beschlossen das Festival zu besuchen, von dem Thomas erzählt hat. Im Hafen ist es, wie befürchtet, recht voll. Onkel und Tante hatten mir zuvor von ihrem Besuch berichtet, dass die Yachten im 4er Päckchen an den Kaimauern liegen! Um 13:00h ist es noch früh und viele Segler sind noch draußen. Trotzdem sind nur wenige Plätze frei und ich muss mich gut konzentrieren in eine der Lücken einzuparken. Ich mache im Winkel des Vorhafens hinter der Hobåt, einer 16m Ketch (eine Art von Zweimaster), fest. Ein netter Typ von der Crew bietet seine Hilfe an und ich übergebe ihm an Land, in aller Ruhe meine Vorleine.


Ich kann verstehen, dass der Hafen oft voll ist. Es ist ein gemütliches kleines Hafenbecken und rundherum befinden sich Restaurants und Lokale. Ein Stückchen weiter entlang des Ufers gibt es eine phantastische Fischräucherei und auf der anderen Seite ein Netto. Der Fahrtensegler weiß kurze Wege zwischen Supermarkt und Schiff sehr zu schätzen wenn es ums Bunkern von Lebensmitteln und vor allem Getränken geht.
Nach einer Erkundungstour durch den Ort mache ich mich auf, das Festival zu suchen. Ich habe eine Adresse und mein GPS. Auch mal schön so eine Wanderung an Land. Leider finde ich keinen Trail oder Feldweg, wie die Wanderroute entlang der Küste. Das Hinterland wird von Feldern und Landstraßen bestimmt. In einer Bauernschaft ca. 4km von der Küste höre ich dann schon, wo ich hin möchte. Dann biegt eine Gestalt um die Ecke, mit unstetem Gang, auf dem Rücken quer hängender Gitarre und einem Glas Oliven als Wegproviant. Max aus Schweden. Offensichtlich ein Jünger des Festivals, aber warum geht er falsch rum?!? Wir kommen schnell ins Gespräch und ich erfahre, dass er ein bisschen gespielt hätte aber die traditionelle Feindschaft zwischen Dänen und Schweden ihm die Laune verdorben hat und dass er nervös ist wegen zuvor konsumierten Pilzen. Ich glaube das letzte Argument wiegt am schwersten. Ich frage ihn, in dem Versuch ihn zu beruhigen, ob er schon gekotzt hätte. Das sei typisch für Pilzvergiftingen jeglicher art. Erst kotzen und dann, je nach Pilz, Trip, Krankheit oder Tod. (Falls einem Fachkundigen Leser jetzt die Haare zu Berge stehen, bitte ich um Kommentare; ich möchte ja was dazu lernen ;). Scheinbar ist aber alles in Ordnung, er wäre bis dato ohne Kotzen ausgekommen und gehe jetzt lieber nach Hause schlafen. Ich solle aber mal zum Festival und mich amüsieren. „They need more positive People. Just like you!“ Wir verabschieden uns, sind jetzt Facebookfreune und ich lache mich kaputt!

Das Festival ist mega süß. Auf Privatgelände haben Thomas und die Gang einen Zeltplatz, Küche, Bierstand, Bühne und „Backstage“ aufgebaut. Alles ist mit viel Liebe aus Paletten, Pavillions, ein bisschen Schnur und gutem Willen zusammengezaubert. Die Crowd ist bunt, alternativ und super freundlich. Thomas ist voll beschäftigt in den Vorbereitungen für das Abendbrot. Auf der Bühne macht die Band Soundcheck und rundherum tummelt sich das Volk. Insgesamt sind vielleicht 60-80 Leute da. Unter anderem auch die Crew vom Schiff nebenan, der Hobåt. Nice! Mein freundlicher Anlegehelfer entdeckt mich gleichzeitig und wir kommen sofort ins Gespräch. Charly fährt bei dem Eigner der Yacht mit seinem Chantychor gegen praktische Hilfe mit. Er sei halber Grönländer, Handyman und lebt mit den Chaoten vom Chor in Christiania in Kopenhagen – passt! Charly, Sivester, Oliver und „Dings“ und „Bums“ sind sofort meine neuen Festivalfreunde und wir hängen gemeinsam ab und warten, dass die Bands loslegen.
Ich übe mich als Beobachter und würde den dänischen artsy fartsy Hippy wie folgt beschreiben:
Sekondhand Klamotten aus den 60er Jahren, grundsätzlich Hochwasserhosen (praktisch auf einer nassen Wiese), Wuschelkopffrisur und Ohrring. Ohrringe sind hier scheinbar ein must-have. Kaum einer ohne Ring, viele auch mit elaboriertem Gebaumsel an den Ohren, bei uns in Köln trägt man ja eher Tunnels...
Die Musik überrascht mich. Beim Soundcheck hat der Musiker in mir viel zu meckern gehabt. Alles ging recht chaotisch von statten und die Band machte einen typischen graragenmäßigen Amateureindruck. Zum Glück war der Auftritt dann aber richtig gut – nur eben anders als ich konditioniert worden bin. Das Studium an der Popakademie hat deutliche Spuren hinterlassen. „Präsenz“, „Körpersprache“, „für das Publikum spielen“, „Songformat und Kontraste“ alles haben sie „falsch“ gemacht. Aber der Sound war gut, das Publikum ist mitgegangen und es war ein gutes Konzert mit ganz besonderer Honeyland Atmosphäre. Der zweite Act war eine Solo Künstlerin. Hat mich sehr an Bjørk erinnert und viel mit Loops, Playbacks und vielen Vocal Effekten gearbeitet. 

Soundcheck auf der 'Mainstage'
Man soll gehen wenn es am besten ist und so verabschiede ich mich noch währen des Konzerts aus dem Honeyland. Ich werde den Rest der Show noch über die Felder hören während ich nach Hause marschiere.

Den nächsten Tag schlafe ich aus, gehe im Hafen-Netto einkaufen und mache klarschiff. Charly und seine Chanty-Gang kommt erst spät in die Gänge und dann müssen alle auch schnell weg. Es gibt noch ein anderes Festival und deren Auftritt beginnt in weniger als einer Stunde. Na dann: Avanti avanti!
Ich lerne jetzt auch den Skipper und eigner der Hobåt kennen. Es schwamm nämlich eine Schwimmweste mit der Nummer 8 im Hafenbecken. Die habe ich herausgefischt und an meinen Mast genagelt – äh gebunden. Irgendwann gegen Abend klopfte es dann an mein Schiff. Ich hätte ja seine Weste und er brauche sie unbedingt, da er 12 Stück an Bord haben muss. Mit 16 Schwimmwesten wäre er gestartet und ohne diese hier wären es nur noch 11. So manche Christiania Clichés werden bestätigt. Ich bin neugierig auf den Skipper, da ich von Oliver und Charly schon Geschichten über ihn gehört hatte und er gestern wohl ziemlich sauer auf die Crew war. Die Hobåt war in einem Schlag von Kopenhagen nach Allinge gesegelt und hat dafür 19 Stunden gebraucht. Für den Skipper war das die erste richtige Tour, seit dem er das Schiff hat und es segelklar ist. Die Jungs waren wohl übermütig und froh, nach der langen Fahrt wieder im Hafen zu sein, zumal nur Charly Segelerfahrungen hat. Also sind alle nackt ins Hafenbecken gesprungen und haben eine Piratenflagge und das Banner von Christiania gehisst. Der Eigner fand das vor den Augen der Restaurantbesucher und Café Gäste nicht so prickelnd. Haupsächlich weil er kein Aufsehen erregen will. Erstens raucht er gerne und viel Gras – dafür ist Christiania und seine Bewohner bekannt – und zweitens ist er insolvent und wenn das dänische Finanzamt von dem Schiff erfährt, wird es gepfändet.
Ich kann die Sorge vom Skipper unter den Umständen ja verstehen, man muss Charly‘s Chor aber zu Gute halten, dass es nicht sehr weitsichtig ist einen Haufen Hippies aus Christiania als Crew zu nehmen wenn man kein Aufsehen erregen will.


Ich möchte zwar nicht noch einen Abend zum Festival wandern, doch die Liveband hier im Ort will ich dann doch sehen. Denkste! Die Veranstaltung ist im Innenhof von einem Hotel und nur für zahlende Gäste. Die Musik ist dieses mal aalglatter Production-Team-POP. Ich spaziere einmal um den Häuserblock und höre zu. Als ich wieder am Anfang ankomme sind die Tore dann doch für die Allgemeinheit geöffnet, so dass das Grande Finale mit Konfettikanone und Mitsing Aktion für alle ist. Ich bin geflashed von dem Kontrast. Gestern alles alternativ, selbstgemacht, sehr persönlich und liebevoll. Heute Hotel, Cash, Marketing, Choreo, präziese Musiker in ‚Uniform‘ und ein Teenie-Star Sänger á la Justin Biber (als er noch jung war). Im Publikum entsprechend Teenie Girls mit Eltern. 


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