So
schön Christiansø auch ist, mache ich mich direkt am nächsten
Morgen auf den Weg zurück nach Bornholm. Noch haben wir einen
schönen Südwind, der aber im späteren Verlauf auf West drehen
soll. Dann wird es für mich unmöglich unter Segeln zurück zu
kommen. Klar, ich habe einen Motor. Der hat aber nur 10PS und ist in
meinen Augen mehr für Hafenmanöver, die letzte Meile vor dem
Anlegen und Notfälle gedacht.
Mein
schwedischer Nachbar ist schon ausgelaufen, als ich um 10:20h die
Leinen loswerfe. Zum Glück, denn der Ableger ist lange nicht so
formvollendet wie der Anleger. Macht aber nichts. Ich habe viel Platz
und fahre eben ein bisschen schief vom Liegeplatz ins Hafenbecken.
Dort bereite ich in aller Ruhe die Illub vor: Leinen aufklaren,
Fender verstauen und Segel hissen. Direkt hinter der Mole geht das
Geschaukel dann auch los. Komischerweise ist die See direkt vor den
Häfen oft am unruhigsten. Ob das an den Bauwerken, dem flacher
werdenden Grund oder dem Kontrast lieg, weiß ich nicht. Wenn man von
draußen reinkommt und die Segel herunter holt, fehlt auf einmal eine
riesige Bremsfläche. Und wenn man nach einer ruhigen Nacht im Hafen
raus kommt, dann hatte ich meist schon vergessen, dass man draußen
ja von den Wellen herumgeschubst wird.
Die
Windfahne ist schnell aufgebaut und eingestellt und mir bleibt nichts
anderes als in der, sich gelegentlich zeigenden, Sonne zu liegen, ab und an mal einen Rundumblick
zu machen und mich mit genügend Getränken und Snacks zu versorgen.
Das Leben auf See kann so idyllisch sein :-)
Ich
kann verstehen, dass der Hafen oft voll ist. Es ist ein gemütliches
kleines Hafenbecken und rundherum befinden sich Restaurants und
Lokale. Ein Stückchen weiter entlang des Ufers gibt es eine
phantastische Fischräucherei und auf der anderen Seite ein Netto.
Der Fahrtensegler weiß kurze Wege zwischen Supermarkt und Schiff
sehr zu schätzen wenn es ums Bunkern von Lebensmitteln und vor allem
Getränken geht.
Nach
einer Erkundungstour durch den Ort mache ich mich auf, das Festival
zu suchen. Ich habe eine Adresse und mein GPS. Auch mal schön so
eine Wanderung an Land. Leider finde ich keinen Trail oder Feldweg, wie die Wanderroute entlang der Küste. Das Hinterland wird von
Feldern und Landstraßen bestimmt. In einer Bauernschaft ca. 4km von
der Küste höre ich dann schon, wo ich hin möchte. Dann biegt eine
Gestalt um die Ecke, mit unstetem Gang, auf dem Rücken quer hängender
Gitarre und einem Glas Oliven als Wegproviant. Max aus Schweden.
Offensichtlich ein Jünger des Festivals, aber warum geht er falsch
rum?!? Wir kommen schnell ins Gespräch und ich erfahre, dass er ein
bisschen gespielt hätte aber die traditionelle Feindschaft zwischen
Dänen und Schweden ihm die Laune verdorben hat und dass er nervös
ist wegen zuvor konsumierten Pilzen. Ich glaube das letzte Argument
wiegt am schwersten. Ich frage ihn, in dem Versuch ihn zu beruhigen, ob er
schon gekotzt hätte. Das sei typisch für Pilzvergiftingen jeglicher
art. Erst kotzen und dann, je nach Pilz, Trip, Krankheit oder Tod.
(Falls einem Fachkundigen Leser jetzt die Haare zu Berge stehen,
bitte ich um Kommentare; ich möchte ja was dazu lernen ;). Scheinbar
ist aber alles in Ordnung, er wäre bis dato ohne Kotzen ausgekommen
und gehe jetzt lieber nach Hause schlafen. Ich solle aber mal zum
Festival und mich amüsieren. „They need more positive People. Just
like you!“ Wir verabschieden uns, sind jetzt Facebookfreune und ich
lache mich kaputt!
Das
Festival ist mega süß. Auf Privatgelände haben Thomas und die Gang
einen Zeltplatz, Küche, Bierstand, Bühne und „Backstage“
aufgebaut. Alles ist mit viel Liebe aus Paletten, Pavillions, ein
bisschen Schnur und gutem Willen zusammengezaubert. Die Crowd ist
bunt, alternativ und super freundlich. Thomas ist voll beschäftigt
in den Vorbereitungen für das Abendbrot. Auf der Bühne macht die
Band Soundcheck und rundherum tummelt sich das Volk. Insgesamt sind
vielleicht 60-80 Leute da. Unter anderem auch die Crew vom Schiff
nebenan, der Hobåt. Nice! Mein freundlicher Anlegehelfer entdeckt mich
gleichzeitig und wir kommen sofort ins Gespräch. Charly fährt bei
dem Eigner der Yacht mit seinem Chantychor gegen praktische Hilfe
mit. Er sei halber Grönländer, Handyman und lebt mit den Chaoten
vom Chor in Christiania in Kopenhagen – passt! Charly, Sivester,
Oliver und „Dings“ und „Bums“ sind sofort meine neuen
Festivalfreunde und wir hängen gemeinsam ab und warten, dass die
Bands loslegen.
Ich übe
mich als Beobachter und würde den dänischen artsy fartsy Hippy wie
folgt beschreiben:
Sekondhand
Klamotten aus den 60er Jahren, grundsätzlich Hochwasserhosen
(praktisch auf einer nassen Wiese), Wuschelkopffrisur und Ohrring.
Ohrringe sind hier scheinbar ein must-have. Kaum einer ohne Ring,
viele auch mit elaboriertem Gebaumsel an den Ohren, bei uns in Köln
trägt man ja eher Tunnels...
Die
Musik überrascht mich. Beim Soundcheck hat der Musiker in mir
viel zu meckern gehabt. Alles ging recht chaotisch von statten und
die Band machte einen typischen graragenmäßigen Amateureindruck.
Zum Glück war der Auftritt dann aber richtig gut – nur eben anders
als ich konditioniert worden bin. Das Studium an der Popakademie hat
deutliche Spuren hinterlassen. „Präsenz“, „Körpersprache“,
„für das Publikum spielen“, „Songformat und Kontraste“ alles
haben sie „falsch“ gemacht. Aber der Sound war gut, das Publikum
ist mitgegangen und es war ein gutes Konzert mit ganz besonderer
Honeyland Atmosphäre. Der zweite Act war eine Solo Künstlerin. Hat
mich sehr an Bjørk erinnert und viel mit Loops, Playbacks und vielen
Vocal Effekten gearbeitet.
Soundcheck auf der 'Mainstage'
Man soll gehen wenn es am besten ist und so verabschiede ich mich noch währen des Konzerts aus dem Honeyland. Ich werde den Rest der Show noch über die Felder hören während ich nach Hause marschiere.
Den
nächsten Tag schlafe ich aus, gehe im Hafen-Netto einkaufen und
mache klarschiff. Charly und seine Chanty-Gang kommt erst spät in
die Gänge und dann müssen alle auch schnell weg. Es gibt noch ein anderes
Festival und deren Auftritt beginnt in weniger als einer Stunde. Na dann:
Avanti avanti!
Ich
lerne jetzt auch den Skipper und eigner der Hobåt kennen. Es schwamm
nämlich eine Schwimmweste mit der Nummer 8 im Hafenbecken. Die habe
ich herausgefischt und an meinen Mast genagelt – äh gebunden.
Irgendwann gegen Abend klopfte es dann an mein Schiff. Ich hätte ja
seine Weste und er brauche sie unbedingt, da er 12 Stück an Bord
haben muss. Mit 16 Schwimmwesten wäre er gestartet und ohne diese
hier wären es nur noch 11. So manche Christiania Clichés werden
bestätigt. Ich bin neugierig auf den Skipper, da ich von Oliver und
Charly schon Geschichten über ihn gehört hatte und er gestern wohl
ziemlich sauer auf die Crew war. Die Hobåt war in einem Schlag von
Kopenhagen nach Allinge gesegelt und hat dafür 19 Stunden gebraucht. Für den Skipper war das die erste richtige Tour, seit dem er das
Schiff hat und es segelklar ist. Die Jungs waren wohl übermütig und
froh, nach der langen Fahrt wieder im Hafen zu sein, zumal nur Charly
Segelerfahrungen hat. Also sind alle nackt ins Hafenbecken gesprungen
und haben eine Piratenflagge und das Banner von Christiania gehisst.
Der Eigner fand das vor den Augen der Restaurantbesucher und Café
Gäste nicht so prickelnd. Haupsächlich weil er kein Aufsehen erregen
will. Erstens raucht er gerne und viel Gras – dafür ist
Christiania und seine Bewohner bekannt – und zweitens ist er insolvent und wenn das
dänische Finanzamt von dem Schiff erfährt, wird es gepfändet.
Ich
kann die Sorge vom Skipper unter den Umständen ja verstehen, man
muss Charly‘s Chor aber zu Gute halten, dass es nicht sehr
weitsichtig ist einen Haufen Hippies aus Christiania als Crew zu
nehmen wenn man kein Aufsehen erregen will.
Ich
möchte zwar nicht noch einen Abend zum Festival wandern, doch die
Liveband hier im Ort will ich dann doch sehen. Denkste! Die Veranstaltung
ist im Innenhof von einem Hotel und nur für zahlende Gäste. Die
Musik ist dieses mal aalglatter Production-Team-POP. Ich spaziere
einmal um den Häuserblock und höre zu. Als ich wieder am Anfang
ankomme sind die Tore dann doch für die Allgemeinheit geöffnet, so
dass das Grande Finale mit Konfettikanone und Mitsing Aktion für
alle ist. Ich bin geflashed von dem Kontrast. Gestern alles
alternativ, selbstgemacht, sehr persönlich und liebevoll. Heute
Hotel, Cash, Marketing, Choreo, präziese Musiker in ‚Uniform‘
und ein Teenie-Star Sänger á la Justin Biber (als er noch jung
war). Im Publikum entsprechend Teenie Girls mit Eltern.
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