So ging
unsere Zeit in Lohme auch schnell dahin und es wird Zeit Sarah nach
oben ins Dorf zum Bus zu bringen. Gemein, da das Wetter, heute am
Montag, wieder richtig gut geworden ist. Aber so ist das Leben. Sarah
muss wieder an die Arbeit und ich muss die Illub endgültig parken
gehen. Nachdem Sarah im Bus sitzt mache ich mich daran alles für
meine große Überfahrt vorzubereiten. 100 Seemeilen! Die Fahrt nach
Bornholm waren 50sm und das hat schon 12Std. gedauert. Der
Wetterbericht sagt für den weiteren Tagesverlauf Flaute an, gegen
19:00h soll es dann aus Ost aufbriesen. Genau mein Ding, 3-4
Windstärken aus Ost! Am Dienstag dann ab Mittag auf Süd drehend,
was für mich weniger günstig ist. Meine beste Option ist am
Nachmittag unter Motor das Kap Arkona zu umrunden und dann am Frühen
Abend die Segel zu hissen und die Nacht über durch zu fahren… Ich
mach‘s!
Um
13:00h bin ich schon fertig mit den Vorbereitungen und will nicht bis
15:00h warten; dafür bin ich viel zu nervös und auch etwas
melancholisch weil Sarah ja gerade gegangen ist. Also rausfahren und
was erleben!
Good bye Lohme
Kap Arkona voraus
Insel Hiddensee backbord querab
Der
Anfang der Fahrt verläuft ruhig. Ich motore bis ich die Insel
Hiddensee erreicht habe. Dabei kann ich gut lesen und in der Sonne
Faulenzen. Pünktlich um 19:00h setzt der Wind ein und ich kann die
Segel hochziehen bzw. den Motor ausstellen. Zuvor hatte ich die Segel
auch schon oben, aber nur um ein wenig Extraspeed zu geben und das
Schiff zu stabilisieren. Für die nächsten zwei Stunden bin ich mal
das Schiff, dass ich sonst immer so schön und beneidenswert fand:
Man sitzt am Strand und im goldenen Licht der Abendsonne zieht noch
ein einsames Segelschiff daher. Vom Cockpit aus gesehen auch eine
herrliche Erfahrung. Leider muss ich zur Handsteuerung übergehen, da
die Wellen und der Wind meinen genauen Kurs mit der Windsteueranlage
nicht möglich machen. Ich komme zur Landspitze von Darßer Ort,
dort gibt es Strömung, Flachwasserzonen, Naturschutzgebiete und
einen Windpark. Wenn ich frühzeitig gut ziele ist das alles kein
Problem da zwischen her zu flutschen. Wenn ich aber zu weit im Süden
oder im Norden herauskomme, wird das ein ziemliches Gegurke damit ich
auch sicher und gut herum komme. Also steuere ich per Hand und werde
so leider etwas von dem Sonnenuntergang abgelenkt, da meine
Referenzpunkte an Land und nicht in der untergehenden Sonne zu finden
sind.
Die ersten Schiffe von der Hansesail in Rostock. Von denen werden mir noch einige im Dunkeln begegnen.
Und
dann beginnt die Nacht.
Pünktlich
mit dem versinken der Sonne frischt der Wind deutlich auf. Oder meine
ich das nur?Vielleicht spielt die Psychologie eine Rolle aber die
spätere Recherche im Wetterbericht verzeichnet stärkeren Wind als
ursprünglich vorhergesagt und gibt meinem Gefühl recht. Statt 3-4Bf
sind es tatsächlich 4-5Bf. Nichts was ich nicht schon kennen würde
aber in der Dunklheit doch beeindruckend. Ich werfe einen letzten
Blick auf das rote und grüne Licht, was die Einfahrt des Nothafens
Darßer Ort markiert. Letzt Chance Auszusteigen. Quatsch! Genau das
hier hab‘ ich mir doch gewünscht. Zugegeben ein bisschen mulmig
ist mir aber wie soll ich mich erst fühlen wenn ich im Hafen sitze
und nichts zu tun habe. Ich fahre auf jeden Fall weiter!
Dann
wird es dunkel und noch dunkler als auch der letzte Schimmer der
Sonne vom Himmel verschwindet. Ich wundere mich und suche den Mond.
Vor fünf Tagen war noch Vollmond, da muss doch noch was von dem
Kollegen übrig sein. Keine Chance. Dafür blinkt und blitzt es
reichlich um mich herum. Da ist der Windpark mit gefühlten tausend
Lichtern, der Leuchtturm bei Darßer Ort, die Gefahrentonne und noch
jede Menge andere Seezeichen, die so weit weg sind, dass ich sie nur
grob zu Rostock oder dem Seetrennungsgebiet zuordnen kann.
Ich
kann die Windsteueranlage wieder in Betrieb nehmen und lege mich ins
Cockpit. Es ist sternenklar. Nach einiger Zeit haben sich meine Augen
eingestellt und ich sehe so viele Sterne wie selten zuvor. Auch
Sternschnuppen häufen sich und ich wünsche mir fleißig einen
Wunsch nach dem anderen, bis mir nur noch Wiederholungen meiner
vorherigen Wünsche einfallen. Sollte also klappen hoffe ich.
Einen
kleinen Schrecken erlebe ich dann doch noch. Bei meinem
routinemäßigem Rundumblick entdecke ich ein neues Licht: rot und
weiß. Das bedeutet Schiff in Fahrt; oder nicht?!? Doch! Müsste! So
hab ich das gelernt, rot zeigt mir, dass ich die Backbordseite
(links) sehe und das weiße Licht ist am Heck angebracht. Meine
Perspektive müsste also schräg von hinten sein. Ist aber noch weit
weg. Ich lege mich wieder zu meinen Sternen und bin total erschrocken
als die kleine Segelyacht 10min. später beim nächsten Rundumblick
schon an mir vorbei gesegelt ist. Ups! Und jetzt erkenne ich auch,
dass das weiße Licht kein Hecklicht sondern ein Toplicht ist und
statt 135° nach achtern (hinten) 360° vom Masttop leuchtet. Ich
hoffe der andere Skipper hat etwas besser aufgepasst als ich. Aber
das Meer ist groß und das Wort „Nähe“ bezieht sich auf 500
Meter Radius um die Illub herum, hat also nichts mit den gewohnten
Dimensionen z.B. im Straßenverkehr zu tun.
So geht
es eine ganze Weile entspannt und im Sternenlicht weiter.
Leider
stelle ich fest, dass ich dem Seetrennungsgebiet immer näher komme,
die Windsteueranlage kann unter diesen, immerhin recht ruppigen
Bedingungen mit 1m Welle und 4-5Bf, nicht weiter südlich steuern.
Also muss ich mal wieder ran. Wir kommen Warnemünde immer näher und
ich wundere mich was hier los ist. Ich sehe gut 20 Schiffe, und das
um 01:30h! Einem schönen Dreimaster komme ich relativ nahe, der
geisterhaft an mir vorbei zieht. Dann sehe ich mal wieder einer
Riesigen Fähre oder einem Kreuzfahrtschiff frontal entgegen. Kurz
bin ich erschreckt und dann werden die Abstände deutlicher. So wie
so krieg ich immer mal wieder einen kleinen Adrenalinschock wenn sich
eine Welle vom Timing und der Wellenhöe passen bricht, dass im
Schaum mein rotes Positionslicht reflektiert. Es scheint dann als ob
etwas im Wasser schwimmt was viel zu schnell auf dich zu kommt und
gegen die Bordwand klatscht. Ich bin bestimmt drei oder vier mal
darauf reingefallen. Andererseits hilft es beim wach bleiben. So
langsam werde ich müde. Gegen 02:15h denke ich, dass ich weit genug
von den Kreuzfahren, Frachtern und sonstigen Hanse Sail Besuchern
fern bin, dass ich es mit der Windfahne wieder probieren kann. Da
habe ich ja lust drauf: wieder schön im Cockpit liegen und den
Sternen zuschauen, dabei gewiegt werden und das gute Gefühl zu
haben, dass ich unter Wegs bin. So schön… Leider kommt es anders.
Ist ja auch klar. Auf der Illub weiß man nie so genau was man
bekommt. Dieses mal muss ich leider feststellen, dass nach 450
Semeilen, ein paar Schrauben harausgebrochen sind und ich fast mein
Pendelruder von der Windfahne verloren hätte. Noch hält eine
Schraube aber die Steuerwirkung ist dahin. Es ist ohnehin schon doof
sie so weit über die Reling bücken zu müssen, es ist zwei Uhr
nachts mit ordentlich Wind, und deshalb packe ich beherzt zu und
reiße das Ruder komplett ab, um es wenigstens reparieren zu können
und nicht ganz neu bauen zu müssen. Im zweiten Gedankengang bin ich
aber ganz zufrieden. 450sm mit dem ersten Prototyp, davon hat das
Ding vielleicht 200sm oder sogar 250sm gesteuert! Mit diesen
Erfahrungswerten kann ich nochmal zu Freun Manu in die Werkstatt und
die Version 2.0 in Angriff nehmen; die schafft dann hoffentlich
2500sm.
Für
den Moment bedeutet das aber leider das ich bis nach Hause selber
steuern muss. Mist. Gerade als es entspannt und chillig werden
könnte. Den Elektropilot will ich nicht gebrauchen, da schon meine
Positionslampen leuchten und ich die Batterie zum Motorstart
benötige.
Ab hier
zeigt der „Seegang“ im GPS Track deutlich wie ich im Halbschaf
steuere und teilweise nicht den Kompas benutze, sondern meine Saling
und einen besonders hellen Stern. Eigentlich total einfach, nur wenn
das Schiff schaukelt verliere ich auch den hellsten Stern
gelegentlich aus den Augen und dann muss sich erst mal wieder neu
orientiert werden. Auf dieser Fahrt stellt sich übrigens auch
heraus, dass mein stylischer Kompass unbedingt beleuchtet werden
muss. Da war die Stirnlampe mit angenehmem Rotlicht superpraktisch.
Ganz
ehrlich – ab hier wird mir die Zeit etwas lang. Es nähert sich
zwar bald das Morgengrauen, ein Event dem ich entgegenfieber aber
noch ist es für zwei Stunden dunkel, nass und kalt wird es auch. Um
03:20h bemerke ich, dass neben den Leuchttürmen an Land zwei fette
rot und grüne Lichter sichtbar sind, die die Hafeneinfahrt von
Kühlungsborn markieren. Ich bin so müde und es lockt mich der
sichere Hafen. Gleichzeitig ist es ein Umweg und ich möchte es auch
gerne schaffen nach Hause zu fahren. Ob die Windfahne jetzt kaputt
ist oder nicht. Das letzte Gegenargument ist im Dunkeln bei Wind eine
freie Box zu suchen und dort festmachen zu müssen – so müde gar
nicht mein Ding.
04:00h
Es zeigt sich der Morgen und als ich um 4:45h um „die Ecke“ bin
Kühlungsborn endgültig außer Sicht ist färbt sich der Himmel
endlich rot und ich weiß, dass ich es geschafft habe. Ich bin durch
die Nacht gefahren! Wieder einmal finde ich es doof, steuern zu
müssen und nicht nach Hinten schauen und dem Schauspiel zuschauen
kann. Ein frischer Tee fällt auch flach und zu Essen gibt‘s nur
noch Schokoriegel und Kekse.
Als ich
um 06:30h die Insel Poel erreiche ist es Zeit den Motor starten. Zum
einen soll er warmlaufen, zum Anderen hat der Wind weiter auf Süd
gedreht und ich muss gleich nach Süden abbiegen und durch eine
Untiefe – oder einen großen Umweg fahren. Jetzt heisst es Daumen
drücken, dass acht Stunden Positionslichter die Batterie noch frisch
genug lassen um den Motor in Gang zu setzen. Es kommt wie es kommen
muss und der Motor springt nicht an, gibt nicht mal ein Mucks. Na
gut. Alle Instrumente und Verbrauer ausstellen und in einer Stunde
noch einen Versuch. In der Zwischenzeit versuche ich die
Oldschool-Trecker-Ankurbel-Methode. Leider habe ich keine Kurbel,
hatte ich nie. Ich probiere es mit dem Schraubenzieher. Das Problem
ist, dass ich eine Hand zu wenig habe: Schwung geben,
Kompressionshelbel umlegen und gleichzeitig Starterknopf drücken.
Theoretisch müssete es auch ohne den Starterknopf gehen aber so oder
so tut sich nichts. Ich kann auch nie zu lange herumfummeln weil die
Illub in der Zwischenzeit führerlos herumdümpelt. „Eins nach dem
Anderen“ sag ich mir und konzentriere mich drauf bis nach
Timmendorf auf Poel zu kommen. Durch die Untiefe will ich trotzdem
fahren. Ich habe keinen Bock auf Umwege und theoretisch müsste es
knapp sein aber passen. Motorgebastel und die Untiefen halten mich
wach und ich übe langsam Fahren bei frischem Wind und zu viel
Segelfläche. Inzwischen ärgere ich mich schon eine Weile mit der
großen Genoa losgefahren zu sein und nicht die Fok benutzt zu haben.
So spiele ich mit dem Kurs und den Schoten, dass ich im Falle des
Falles nicht mit 5 oder 6 Knoten auf Grund laufe. Letztlich habe ich
immer noch 1,5m Wassr unterm Kiel. Bestimmt nicht zu letzt wegen der
vielen guten Wünsche, die mir von so vielen lieben Menschen
mitgegeben werden „...und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!“
Vielen Dank dafür; es hilft!
Endlich
habe ich Poel erreicht. Endlich Pause, und Pinkeln und Schlafen! Es
ist 07:30h und ich bin seit 18 Stunden auf dem Wasser. Aber auch hier
werde ich noch einmal auf die Probe gestellt. Der Hafen ist voll. So
voll, dass fünf Schiffe in der Bucht vor der Hafeneinfahrt vor Anker
liegen. Keine Chance das ich da unter Segel einlaufen und irgendwo
festmachen kann, ohne dass ich etwas kaputt mache, Leute aus dem
Schlaf reiße und ein riesen Chaos veranstalte. Also noch etwas
durchhalten und weiter zum Stadthafen. In den WS11 komme ich durch
die Schmal Rinne niemals rein und dann wäre mir auch alles zu eng.
Im Stadhafen kann ich schön längseits an den Kai gehen. Ich fahre
also weiter in die wismarer Bucht ein. Leider herrscht inzwische
direkter Südwind und ich bräuchte ewig, biss ich in den Stadthafen
gekreuzt wäre. Ich habe langsam echt keine Lust mehr und möchte
gerne irgendwo fest machen. Zum Glück ist die wismarer Bucht voll
von Häfen und so sind Boltenhagen und Hohen Wirschendorf in
Reichweite. Ich kenne keine der Marinas und entscheide mich für
letztere da der Weg kürzer ist. Natürlich ist es ein winziger Hafen
mir enger Fahrrinne und Anfangs weiß ich überhaupt nicht, wo der
Eingang ist. Es gibt Tonnen, die die schmale Einfahrt markieren und
direkt auf eine Betonmauer und eine Slipanlage führen. Mir ist alles
egal. Da liegen Boote hiterm Beton, und irgenwie müssen die von hier
nach dort kommen. Schwungvoll, ich kann unter Segel nur schwungvoll,
sonst geht die Steuerfähigkeit verloren, fahre ich auf die
Betonmauer zu, in dem Vertrauen, dass ich genauso schau bin wie die
anderen Skipper. Die sind ja auch in den Hafen reingekommen. Siehe
da, es gibt noch andere, kleine, bewachsene Tönnchen. Eigntlich eher
drei Luftballons aber genug. Ich fahre rum und muss mich orientiern
und entscheiden. Schwimmstege steuerbord querab, T-Form. Gut. Vor der
Halberg Rassy ist noch was frei. Halber Wind. Gut. Fok fliegen
lassen, Leine nehmen, ...scheiße zu schnell! Ich bemerker einen
Panischen Skipper, der kauend aus der großen teuren Segelyacht auf
den Steg klettert. Ich sehe ein, dass das so nichts wird, schnappe
mir meine Vorschot um wieder Geschwindigkeit zu bekommen und besser
steuern zu können. Es geht knapp vorbei an der Halberg Rassy und
rasant zu auf den Strand. Steuerbord, die Yacht, an Backbord
Flachwasser, voraus noch die kleinen offenen Anglerboote. Ich drehe
mich um entdecke doch noch eine Lücke auf der anderen Seite vom
T-Stück des Steges und mache eine rasante Halse (Großsegel war
schon vor dem Hafen geborgen) und einen butterweichen Aufschießer in
die Lücke. Die Geschwindigkeit passt so gut, dass der Skipper und
seine Frau mich mit dem kleinen Finger annehmen können. Wir sind
alle drei ganz baff! Mir egal ich will nur schnell festmachen!
Geschafft!
Jetzt merke ich wie aufgekratzt ich bin. Ich weiß nicht ob ich wirr
gesprochen habe. Der Skipper hat sich ständig wiederholt, was das
für ein krasser Anleger war und ich habe dafür in einem einzigen
Satz die ganze Überfahrt erzählt und das ich so was noch nie zuvor
gemacht hätte und das ich ganz aufgeregt bin und das ich gefürchtet
hätte das die Batterie lehr geht und das die vielen Schiffe von der
Hanse Sail alle da waren und ich ja nicht „dunkel“ fahren kann,
man muss ja überhaupt froh sein wenn die einen auf dem Radar sehen,
…
Naja
wir haben uns dann alle erstmal wieder Beruhigt. Die beiden haben zu
Ende gefrühstückt und ich habe klar Schiff gemacht. Kurz danach
habe ich denen dann geholfen, dass sie ohne Kratzer, gegen den Wind,
vom Steg wegkommen und bin endlich schlafen gegangen.
100
Meilen in 20 Stunden durch die Nacht Rügen – Wismar nonstop. Nicht
ganz wie geplant, aber gesund und munter – äh müde – aber
happy!
Sonnenaufgang. Die Nacht ist geschafft!
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